NACHHALTIGKEIT ALS WACHSTUMSTREIBER?
Sarah Borrey, Head of Corporate Strategy & Sustainability und Jonas Scharf, Managing Direktor Messeplätze Basel und Zürich bei der MCH Group AG
Wir haben Sarah Borrey und Jonas Scharf zum Gespräch getroffen, um uns darüber auszutauschen, welche Rolle Nachhaltigkeit in der heutigen Unternehmenswelt spielen kann.
Sarah, du ergänzt die MCH Group AG seit 2021 in der Rolle als Head of Corporate Strategy & Sustainability. Wie bist du zu dieser Rolle gekommen?
S: Ich komme ursprünglich aus der Finanzindustrie und habe in meinen verschiedenen Rollen in den letzten Jahren immer mehr Transformations- und Strategiethemen übernommen. Im August 2021 bin ich dann als rechte Hand des damaligen Group CEO der MCH für die strategische (Neu)-Ausrichtung eingestellt worden. Es war aber mein Wunsch, zusätzlich zur Strategiearbeit ein Fokusthema eigenverantwortlich zu treiben. Das Thema war bis dahin dezentral in wenigen Business Units angesiedelt und nicht gezielt aus Gruppensicht verankert. So wurde die Leitung auf die Gruppenebene übertragen und ich habe die Verantwortung übernommen. Mit meinem Aufstieg in die Geschäftsleitung unter unserem neuen CEO Florian Faber ist das Thema nun auch auf oberster Managementebene vertreten. Bei der MCH umfasst das Thema Nachhaltigkeit die Dimensionen Ökologie, Soziale Belange und Ökonomie.
Das Thema Nachhaltigkeit ist vielfältig und Orientierung darin zu finden zunehmend schwierig. Wie habt ihr das Thema Nachhaltigkeit angepackt?
J: Ehrlich gesagt sind wir das Thema zuerst eher opportunistisch angegangen. Wir sahen Verbände und unsere Konkurrenz als die treibende Kraft.
Da die Schweiz international gesehen schon gute Standards hat, ist Selbstgefälligkeit unser grösstes Risiko. Denn, lehnen wir uns in diesem Thema zurück, werden wir schnell überholt.
Dieser Erkenntnis folgend, haben wir unseren initial opportunistischen Weg um den strategischen Pfad ergänzt, um Finanzierungslücken zu vermeiden.
S: Initial haben wir uns von externen Standards leiten lassen, während wir mit Nachhaltigkeit heute klar zwei Ziele verfolgen. Einerseits wollen wir unseren Footprint berechnen und reduzieren und anderseits unsere positive Wirkung erhöhen und an nachhaltigen Business Modellen arbeiten, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Zwischenzeitlich ist auch der Marktdruck spürbar gestiegen, was uns hilft, rasch und kundenzentriert den Vorsprung zu finden und unsere Ernsthaftigkeit und Verantwortung zu untermauern.
„Der Marktdruck ist spürbar gestiegen, was uns hilft, rasch und kundenzentriert den Vorsprung zu finden und unsere Ernsthaftigkeit und Verantwortung zu untermauern.“
Was sind die Nachhaltigkeitsziele, die ihr euch als MCH gesetzt habt?
J: Die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) dienen uns als Ausgangslage und bieten einen guten Leitfaden. Denn diese treiben unser Business, beeinflussen die Schweizer Politik und sind auch für unsere Kunden relevant.
In der Schweiz sind die SDG’s vermeintlich gut zu erreichen, obwohl wir die indirekten Auswirkungen unseres Handelns nicht vergessen dürfen. Unsere Gedanken gehen auch dahin, als dass wir neben dem ROI den ROIS (Return on Investment and Sustainability) entwickeln müssten.
Wie es auf globaler Ebene aussieht, kann Sarah konkret beantworten.
S: Unser Nachhaltigkeitskompass sieht 3 Dimensionen vor:
Einerseits verankern wir das Thema Nachhaltigkeit in unserer Unternehmensstrategie und bereiten uns auf die Nicht-Finanzielle Berichterstattung gemäss OR 964 vor.
Anderseits verpflichten wir uns im ökologischen Bereich zur SBTI (Science Based Target Initiative), was eine 90-prozentige Senkung unserer CO2-Emissionen bis 2050 bedeutet. 2023 wird das erste repräsentative Jahr für unsere Messung sein. Unser Emissionsprofil vom Vorjahr liefert bereits wesentliche Indikatoren wo wir unsere Absenkungsmöglichkeiten sehen. Diese decken sich mit den Themen in unserer Wesentlichkeitsmatrix.
Schliesslich, glauben wir an den unternehmerischen Mehrwert von innovativer und damit kundenzentrierter Nachhaltigkeit, weshalb wir in enger Abstimmung mit unseren externen Stakeholdern dabei sind, Wachstumsinitiativen umzusetzen.
„Neben dem ROI müssen wir den ROIS (Return on Investment and Sustainability) entwickeln.“
Was sind aus eurer Sicht Erfolgsfaktoren, die gegeben sein müssen, um ein ganzes Unternehmen zum Umdenken zu bewegen?
S: Wir profitieren stark von der Unterstützung durch unseren CEO und VRP. Beispielsweise war am letzten Weihnachtsanlass das Thema Nachhaltigkeit das Fokusthema. Unser CEO nimmt eine klare Haltung ein und gemeinsam verankern wir Nachhaltigkeit im Kern unserer Strategie was unsere täglichen Entscheide beeinflussen muss. Zudem dürfen alle unsere Mitarbeitenden Vorschläge zur Verbesserung der Nachhaltigkeit einbringen, was die Identifikation mit unseren Aktivitäten und uns als Arbeitgeber fördert.
Dieses Mindset fliesst zunehmend auch in unsere neuen Partnerverträge, um unserer erweiterten Verantwortung gerecht zu werden. Nachhaltigkeit geschieht nicht einfach und schon gar nicht isoliert. Wenn wir zusammen Ziele erreichen wollen, sind wir auf das Mitziehen unserer Partner angewiesen.
„Transformationsarbeit ist stets ein Balanceakt.“
J: In erster Linie müssen wir die grossen Stellhebel kennen und ein gemeinsames Verständnis darüber teilen. Meiner Einsicht nach muss die Unternehmensstrategie dabei helfen zu entscheiden, welche Punkte wir konsequent durchziehen.
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist, die Brücke zu unseren Partnern zu schlagen. Unsere Messen können gut 400 Aussteller beinhalten, was bedeutet, dass wir dieses indirekte Netz mit unserem Wissen befähigen wollen. Aus diesem Grund ist die Kommunikation mit unseren Stakeholdern zentral, um solche Opportunitäten gezielt anzupacken. Sprich, wir agieren auch als Plattform um Wissen zu teilen und damit allen die Möglichkeit zu bieten, ihre Verantwortung wahrzunehmen.
Mit unserem Flagship, der Art Basel, sind wir Vorbild auf 3 Kontinenten. Die Kunst-Communities sind besonders affin, für das Thema Nachhaltigkeit, wenn sie auch unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Kunst setzt sich stark mit der Gesellschaft auseinander. Hier haben wir eine Riesenchance und gleichzeitig eine Riesenverantwortung.
Was habt ihr auf eurer Nachhaltigkeitsreise bis dato gelernt?
J: Mein Radar für die Wichtigkeit dieses Themas und die damit verbundenen Opportunitäten ist stärker angegangen.
Ich zähle mich zum älteren Semester und habe gelernt, dass wir vermehrt den Jungen zuhören müssen, welche einen starken Radar und mehr intrinsisches Interesse haben in diesen Themen.
Ein weiterer Lerneffekt ist das Vorgehen als Team. Es bringt nichts, wenn nur eine Einzelperson vor der Welle surft. Vor die Welle kommen wir nur zusammen. Daher beschäftigt uns aktuell stark die Frage ‘wie bringen wir unseren Tanker vor die Welle?’
S: Ich habe realisiert, dass viele Menschen Nachhaltigkeit mit Verzicht gleichsetzen. Das muss nicht so sein. Wir erreichen zurzeit mehr wenn wir Nachhaltigkeit ‘einfach zugänglich’ machen. So sind wir bspw. dabei unser Angebot aus der Perspektive der Nachhaltigkeit neu zu designen, so dass der Kunde mit seinen Entscheiden die nachhaltigste Lösung erhält.
So spielt nicht nur der Event allein, sondern auch die individuelle An- und Abreise, die Übernachtung oder Verfügbarkeit des öffentlichen Verkehrs eine zentrale Rolle, um den Effekt per Stakeholdergruppe zu optimieren.
In diesem Bereich sind wir sehr offen für innovative Lösungsansätze, auch von Startups.
Zudem ist mir bewusst geworden, welche Wichtigkeit der Kommunikation zukommt, wo wir gerade an einem Konzept arbeiten, ganz nach dem Motto ‘tue Gutes und sprich darüber’.
„Wenn das Gesetz zuschlägt, müssen wir so bereit sein, dass uns der Gap nicht in eine Finanzierungslücke drängt.“
Was war das Highlight eurer bisherigen Nachhaltigkeits-Journey?
S: Branchenübergreifender Austausch: Ein Highlight für mich ist jeweils der branchenübergreifende Austausch. Ich glaube, wir müssen vermehrt Abstand vom eigenen Tagesgeschäft gewinnen und noch mehr branchenübergreifenden Austausch pflegen, um auf noch bessere Ideen zu kommen.
Bedeutung in der GL: In jeder GL-Sitzung, geniesst das Thema Nachhaltigkeit ein Traktandum.
Wie wird sich euer Angebot in Zukunft ändern?
J: Bis vor kurzem war es so, dass unsere Kunden für nachhaltige Produkte einen Aufschlag bezahlen mussten. Das hat sich radikal geändert:
Künftig wird sich unser Standardangebot entlang der Nachhaltigkeit ausrichten und wenn jemand sein argentinisches Rindsfilet haben möchte, bezahlt er ein Aufpreis. Wir werden Nachhaltigkeit in allen Facetten bei uns beherbergen. Dazu gehört bspw. auch, dass wir nur noch recycelte Teppiche anbieten.
Unsere Eigenmessen, wie die Sustainability-Days helfen uns zudem, unsere künftige Ausrichtung zu prototypisieren und uns kundenzentriert weiterzuentwickeln.
„Ich glaube, wir müssen vermehrt Abstand vom eigenen Tagesgeschäft gewinnen und noch mehr branchenübergreifenden Austausch pflegen, um auf noch bessere Ideen zu kommen.“
Woraus schöpft ihr Energie, um das Thema Nachhaltigkeit umzusetzen?
S: Ich möchte, dass meine Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen, in der wir respektvoll und ressourcenschonend umgehen. Den Einfluss als Unternehmen auszuleben und die Mitarbeitenden auf diesen Weg mitzunehmen und zusammen als Kollektiv zu wirken, spornt mich an.
J: Die friedliche Interaktion auf der Erde funktioniert nur nachhaltig. Für mich kommen die jungen Menschen ins Spiel. Unsere Generation durfte sich austoben und hat dies bis zum Exzess gemacht. Die Frage heute lautet: «Was will und macht die nächste Generation?». Ich erlebe sie ‘angeschalteter’ mit frischen Perspektiven und einer längeren Perspektive für unsere Erde. Hier meinen Beitrag zu leisten, finde ich sinnvoll.
Was sind die 2 besten Entscheide, welche ihr im Kontext Nachhaltigkeit getroffen habt?
S: Es ist uns gut gelungen aufzuzeigen, dass Nachhaltigkeit nicht allein durch mich als Head of Sustainability auf der Corporate Ebene getrieben wird. Dadurch konnten wir das Interesse in den einzelnen Units wecken, sodass wir Nachhaltigkeit heute als Matrix in der Organisation verankert haben was dazu führt, dass wir auf unterschiedlichen Ebenen gemeinsam an einem Strang ziehen.
J: Mein bester Entscheid war es, eine Praktikantin mit viel Fachwissen einzustellen. Sie hat uns innert kürzester Zeit weitergebracht. Die Thematik Nachhaltigkeit wird von der NextGen vorangetrieben, welche neue Perspektiven mitbringt und kollaborativ eingestellt ist.
Als weiterer sehr positiver Entscheid hat sich das Netzwerk an Partnern erwiesen, welches neue Stellhebel, Fach- & Methodenwissen einbringt.
Welchen Entscheid würdet ihr im Kontext Nachhaltigkeit mit eurem heutigen Wissen anders treffen?
S: Ich glaube, wir könnten heute bereits weiter sein. Wir haben viel Zeit verloren durch mangelnden Fokus, mangelnde Kommunikation und schliesslich mangelnde Ressourcen. Dies sind aus meiner Sicht Lerneffekte und keine Defizite, wir haben gelernt und werden uns dieses Jahr viel strukturierter aufstellen in allen Bereichen.
J: Da stimme ich zu! Hätten wir bereits vor 15 Jahren ein Nachhaltigkeitssystem eingeführt, wären wir heute bereits viel weiter. Die Nachhaltigkeit zum Spezialthema zu machen, war ein grosser Fehler, wir hätten sie von Anfang an in unsere Strategie integrieren müssen.
„Die Nachhaltigkeit zum Spezialthema zu machen, war ein grosser Fehler.“
Eine letzte Frage: Wenn ihr Zauberkräfte hättet, was würdet ihr damit bewegen?
S: Ich würde mir wünschen, dass Menschen mehr Mut bekommen, Neues auszuprobieren, bahnbrechende Innovation mehr zu fördern und weniger zu belächeln, sodass wir als Gesellschaft bis 2050 unsere Ziele erreichen können.
J: Ich würde mir eine Vollkostenrechnung für alle Produkte und Dienstleistungen wünschen. Faktoren wie ökologischer Impact, Kinderarbeit oder Gleichberechtigung sollte den Preis von Produkten so beeinflussen, sodass jede Person das zahlt, was die Produkte wirklich verursachen.
Liebe Sarah, lieber Jonas, herzlichen Dank für den zukunftsweisenden Gedankenaustausch. Wir wünschen euch weiterhin viel Energie zur Stärkung eurer nachhaltigen Entwicklung und den Mut spannende Entscheidungen zu treffen.
Mehr Informationen zu Nachhaltigkeit bei MCH findest du hier.